ADHS – Ein Relikt aus der Steinzeit?

Zeiten der Jäger und Sammler

In den uralte Zeiten der Jäger und Sammler (Hartmann redet von „Huntern“) waren "ADHS-Talente" wie Reizoffenheit, Ablenkbarkeit, Überaktivität, Impulsivität überlebenswichtig.

Reizoffenheit

Stellen Sie sich vor, einer dieser frühen Menschen sitzt vor seiner Höhle und ist in seine Arbeit vertieft. Da, ein kleines Rascheln hinter dem Gebüsch... Ein konzentriert arbeitender Mensch von heute, würde sich dadurch nicht ablenken lassen, er ist daran gewöhnt Hintergrundgeräusche zu ignorieren. Aber damals hätte er vermutlich nicht bis zum Abendessen überlebt. Unser ADHSler jedoch springt sofort auf, handelt, bringt sich und die Familie in Sicherheit. Er hat seine Augen und Ohren überall, vorne hinten rechts und links und ist neugierig was sich hinter dem nächsten Busch verbirgt.

Da hab ich dann die Schulkinder von heute vor Augen. Frontalunterricht gibt es kaum noch, jeder soll konzentriert für sich arbeiten. Einige stehen auf und zeigen ihre Aufgabe dem Lehrer, unterhalten sich halblaut, der Sitznachbar kruschelt mit dem Bleistiftanspitzer und und und... Ich habe solche Kinder beobachtet in diesen Situationen, wie sie da sitzen mit der Aufgabe ein Arbeitsblatt zu bearbeiten. Gleichzeitig haben sie alle Fühler ausgestreckt und kriegen alles rundherum mit.

Nach der Jagd durfte er zwar rumliegen und sich eine längere Erholungspause gönnen.

Ansonsten war es damals lebensnotwenig seine Umgebung zu überwachen (Reizoffenheit). Der Jäger beim Erspähen einer Beute, beim Wittern einer Gefahr, bereit alles liegen und stehen zu lassen und sich dem neuen, interessanten zuwenden und sich darauf voll fixieren. Sich auf diese, selbst gewählte Tätigkeit dann zu 100 % konzentrieren und alles andere außer Acht lassen (hyperfokussieren nennt man das heute). Neugierig zu sein, was sich drüben verbirgt, nicht lange überlegen, schnell reagieren, dabei Gefahren zu ignorieren.

Ausgeprägtes Reizempfinden, Impulsivität, Interesse an immer neuen Reizen, blitzschnell, ohne viel an mögliche Folgen nachzudenken eine Entscheidung zu fällen, immer in Bewegung auf dem „Kiwief“, auf der Hut sein: So was nennt man heute in unserer Fernsehsessel-Autofahrzeit „hyperaktiv“. Auch im Schlaf trotzdem die Ohren spitzen, könnte ja jederzeit was passieren was ein blitzschnelles Handeln erfordert. ...Das Gehirn kann schlecht abschalten.

Zeiten der Ackerbauer und Viehzüchter

Beim Übergang von Jäger und Sammler zum Ackerbauer und Viehzüchter änderten sich aber die Anforderungen. Nun war nicht mehr der „Hansdampf in allen Gassen“ gefragt, sondern Eigenschaften wie Stetigkeit, Kontinuität, Ausdauer und Geduld waren erfolgreicher. Denn diese brauchte man jetzt um monotone Arbeiten durchzuführen, wie den Acker zu bestellen, das Unkraut zu jäten, geduldig die Ernte abwarten und regelmäßig die Tiere zu versorgen.

Unser "ADHS-Jäger" war hierbei nicht so erfolgreich. Überfokussieren, seine Aufmerksamkeit intensiv auf ein Ding zu richten und alles andere zu vergessen, das ging nicht mehr. Ständig nach Neuem Ausschau zu halten und darüber die Alltagstätigkeit vernachlässigen, das ging nicht mehr. Herumvagabundieren, Springen, Klettern, nein, sondern sich bücken und stundenlang das Feld bearbeiten musste man jetzt. Die Menschen passten sich nach und nach den neuen Anforderungen an.

In festen Häusern mit hohen Zäunen brauchte man auch nachts nicht im Halbschlaf auf der Lauer zu liegen, sondern sammelte Kräfte für den nächsten Tag, an dem genau feststand was zu machen ist.

Heute

In unserer heutigen Lebensweise mit ihren Anforderungen sind diese Talente der ADHS-Hunter (Jäger) eher hinderlich. In Schule und Arbeitsleben wird Pünktlichkeit, Ausdauer, Stetigkeit, Feinmotorik, Stillsitzen verlangt. Man erwartet dass die Menschen ihr Verhalten und die Impulsivität unter Kontrolle haben und vor allem immer erst gut nachdenken, bevor sie handeln.

Es ist nicht erwünscht, ständig neue Ideen zu haben, sondern man möchte auf Bewährtes zurückgreifen und nicht dauernd neue Experimente machen. Eine Reizüberempfindlichkeit ist überflüssig und belastend. Es ist nicht nötig jedes Geraschel zu hören, sondern man soll sich konzentrieren auf die Stimme des Lehrers, auf sein Heft usw. Seine Aufmerksamkeit auf auf Dinge richten, die einen jetzt grade nicht interessieren. Man nicht einfach losrennen wenn man etwas entdeckt, man muss innehalten, erst die Situation checken, überlegt handeln und sich anpassen.

Früher gab es wenig Reize, aber auf die musste man sich blitzschnell einstellen. Heute haben wir Reizüberflutung und man benötigt einen hervorragend funktionierenden Reiz-Filter um trotz aller Verlockungen stetig bei der Sache bleiben zu können.

ADHS als Talent

Dieser Sichtwechsel von "Störung/Krankheit" auf "besonderes Talent" soll ADHS-Betroffenen ihrer besonderen Fähigkeiten und Ressourcen bewusst machen und sie ermutigen sie auszuleben und sich nicht nur in der von "Farmern geprägten Welt" anzupassen.

So betrachtet ist ADHS (eigentlich, bis auf extreme Ausprägung) keine Krankheit sondern eigentlich ein wertvolles Talent, nur leider für eine andere Zeit, aber mindestens für eine andere Lebensweise. Aber Vorsicht! Das mag manchmal stimmen. Aber bei ausgeprägtem ADHS sollte dringend gehandelt werden!

Interessant ist in dem Zusammenhang, dass bei vielen Künstlern und bedeutenden Wissenschaftlern ADHS vermutet wird (Diagnosekriterien gab es bis vor einigen Jahren dafür noch nicht).

Dass ADHS in USA so verbreitet ist, wundert mich nicht. Denn wer hat sich wohl am leichtesten entschlossen, aus dem damals engen, spießigen Europa auszuwandern?